Roger’s letzter Brand – oder wie entsteht Calvados

 

Die Normandie ist für ihre herrliche Landschaft vor allem während der Apfelblüte bekannt. Und aus den Früchten wird das Getränk geschaffen, das wie der Cognac, sogar den Namen eines Departments trägt.

Bereits als ich das erste Mal als Austauschschüler zu meinen späteren Schwiegereltern in die Normandie kam, wurde ich von Roger in das Geheimnis des Calvados eingeweiht. Ich erfuhr, durch welchem Prozeß aus Äpfeln aber auch Birnen diese normannische Spezialität wird.

Siebzehn Jahre alt, war ich bis dahin nur sehr selten in den Kontakt mit Hochprozentigem gekommen und war beim ersten Schluck doch sehr erstaunt.

Der Calvados dient hier zu vielen Zwecken,   von denen ich hier nur ein paar aufzeigen möchte :

– zur besseren Verdauung als „Trou Normand“ zwischen den vielen Gängen eines deftigen Mahles,
– in den Kaffee für die Männer oder auf einen Zuckerwürfel geträufelt als „Canard“ für die Damen
– in der Küche und am Tisch zum flambieren von Apfelsorbet, Crêpes oder karamelisierten Apfelspelten
– sogar zum Einreiben und Desinfizieren liefert das anfangs 60-70%ige Heilmittel hervorragende Ergebnisse.

Man riecht den Apfel bei allen Anwendungen aber schon von weitem.

Aber fangen wir von vorne an. Am Anfang steht der Apfel, hier speziell die kleinen zum Teil sehr süßen, aber auch sauren und sogar etwas bitteren normannische Cidre-Apfel.

Nein, als Tafelapfel taugt er nicht, dieser kleine Apfel unter dessen Last sich die Bäume im Herbst biegen. Er ist klein und er schmeck nicht wirklich. Aber er hat meist viel Zucker und das ist wichtig für die Gärung und einen hohen Alkoholgehalt im Cidre. Erst wenn der Zuckergehalt am höchsten, und der Apfel schon fast von selbst vom Baume fällt, werden die Äste geschüttelt und viele Hände sammeln die bunte Pracht in Körbe, um sie auf Haufen zum Nachreifen zu schütten.

 

Es ist meist Ende Dezember, wenn die Äpfel zu kleinen Stückchen gehächselt zu Maische werden und in die Obstpresse kommen. Anfangs hat Roger dies per Hand in eine eigene Presse gefüllt. Immer eine Lage Apfelmaische und eine Lage frisches sauberes Weizenstroh. Das Stroh gibt der Masse eine kapillare Struktur und hilft so, dass die Flüssigkeit beim Pressen nach aussen gelangt.

Darüber hinaus erhält der „Calva“ so eine spezielle Note, die bei modernen hydraulischen Pressen mit textilen Zwischenlagen weggefallen ist. Damit aber bei Roger der Saft aus der Maische kommt, mußte man kräftig Hand anlegen. Jeden Morgen durfte ich am langen Hebel die Presse bedienen und die obere Pressenplatte um ein zwei Klinkenzähne weiter nach unten bewegen. Die langsam einsetzende Gärung sorgte dafür, dass der ganz junge Most in das darunterliegenden Auffangbecken plätscherte.

Dieser Apfelmost wurde mit einem Schöpfeimer in das große Faß umgefüllt. Es bedarf vieler kleiner Äpfel und  dauerte lange, um die 1300  Liter zusammen zu bekommen.

Im großen Faß – dem „tonneau“ fing die Gärung nun heftig an. Schaum quillt aus dem oberen Spundloch und drückt den Lappen heraus. Jetzt ist es an der Zeit für eine Leckerei. Wenn der Mond richtig steht, und genügend Sekt oder Champagnerflaschen gewaschen sind, wird der noch junge Cidre Doux in Flaschen gefüllt, verkorkt und der Korken gut mit Draht befestigt. Das ist unbedingt notwendig, da der junge wilde Most ein unbändiges Freiheitsgefühl besitzt. Das entstehende Kohlensäuregas gibt ordentlich Druck auf die Flasche. Aber nur so kann man den lieblichen, feinperligen Apfelsekt bis in den Frühling haltbar machen. Dass dies nicht unbedingt nötig ist, hat verschieden Gründe. Teils ist der Druck so groß, dass die Flaschen bersten oder der Korken durch den Draht gedrückt und so geviertelt wird. Teils ist der Durst so groß, dass die Flaschen schnell geleert sind.

Ab jetzt steht in der normannischen Familie zum Mittag und auch abends immer ein Krug frischer Cidre auf dem Tisch. Der zunächst sehr liebliche, perlende Jungmost, wird mit zunehmendem Alter und Reife immer „härter“. Der Zucker wird zusehens in Alkohol gewandelt und so ist es schließlich ein herber Genuss, der aber das ganze Jahr recht erfrischend ist.

Der übers Jahr nicht getrunkene Cidre, verbleibt für 2-3 Jahre zum altern im Fass und wartet auf den Herbst. Dann macht die ambulante Brennerei ihre Runde durch den Kanton. Es werden zwar immer weniger Kunden, aber es ist noch hinreichend Arbeit vorhanden, verrät uns der Besitzer der Anlage. Seine Anlage ist bereits mit einer Pumpe ausgestattet, die den Cidre aus dem Fass in die Distille fördert.

Im Jahr 2017 geht nun eine lange Tradition zu Ende. Der „Bouilleur“, die ambulante Distille kommt zum letzten Mal zu Roger Maupiler auf den Hof. Wenn er wieder fährt, nimmt er das letzte verbliebene 1300 Liter-Faß mit. Die Arbeit mit den Äpfeln will keins der Kinder mehr machen, und der Konsum an Hochprozentigem hat nachgelassen. Viele von Rogers ehemaligen Gästen, die gern auf einen „Goutte“, – den Schluck im Kaffee –  vorbeikamen, weilen nicht mehr auf dieser Welt oder verzichten auf den Schluck.

Aber keine Angst, es gibt noch genügend Reserven, um auf die gute, alte Zeit anzustoßen.

Aber eins ist wichtig und gilt auch hier: “ à deguster avec modération „.

PS : Das eine oder andere Fläschchen ist auch über und wartet auf Genießer

 

 

 

 

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